Auszeit-Gedanken: Lethargie versus Marathon

Marathon

Titelbild: eigene Aufnahme

Diesen Beitrag hab ich im Sommer 2016 in einer Zeit großer Selbstzweifel geschrieben. Mein Blog “Krone-richten” war gerade in der Entstehungsphase, ich traute mich aber nicht, ihn wirklich online zu stellen. Meine Pläne für die Selbstständigkeit waren noch in weiter Ferne und ich schrieb halbherzig Bewerbungen.

Es ist sonnig draußen und warm – ein Wetter bei dem es keine Ausreden gibt. “Normale” Menschen gehen raus, freuen sich, spielen mit Hund oder Kind oder gehen laufen.

Ich sitze gerade auf der Terrasse unseres gemieteten Ferienhauses auf einem Campingplatz in der Schweiz. Eigentlich könnte alles prima sein. Aber ich, ich sitze lethargisch herum und starre ins Leere.

Ich bin mit meinem Partner hierher gefahren. Er läuft gerade einen Marathon, einer von unzähligen allein in diesem Jahr. Und ich hasse ihn dafür. Es ist natürlich nicht wirklich Hass – vielmehr ist es Neid. Neid darauf, dass er vieles hat was mir fehlt: Ziele, Ehrgeiz, Disziplin.

Hier ganz alleine auf der sonnigen Terrasse dreht sich mal wieder die Denkspirale:

  • Du weißt nicht was du willst!
  • Selbst wenn du meinst zu wissen was du willst, traust du dich nicht!
  • Selbst wenn du dich getraut hast den ersten Schritt zu gehen, hast du Angst vor dem Zweiten!

Diese drei Sätze kreischt mir mein innerer Kritiker abwechselnd entgegen.

Ich war mir sicher, ich wollte diesen Blog machen. Mein Herzensprojekt, bei dem ich Dir und anderen Menschen in einer Lebenskrise zeigen möchte, wie ich den Weg aus Depression und Burnout geschafft habe.

Lethargie und Selbstzweifel

Der Blog ist erstellt, die ersten Artikel sind fertig, aber online ist noch nichts. Ich trau mich einfach nicht.

  • Was werden die Anderen denken und was werden sie sagen?
  • Du kannst nicht über Depressionen schreiben, du bist keine Fachfrau!
  • Du kannst nicht über Burnout schreiben, du wirst nie wieder einen Job finden!

Mein innerer Kritiker reibt sich die Hände und grinst mich an. „Na, Anja? Ich hab dir doch gleich gesagt, dass du nichts kannst. Depressiv bist du vielleicht nicht mehr (oder?), aber die Lethargie wirst du niemals los! Und die Selbstzweifel erst recht nicht!“

Der Morgen fing schon so mies an. Ich predige immer, dass man eine Morgenroutine braucht. Aber was nützt die beste Routine, wenn man schlicht nicht aus dem Bett kommt?

Mein Freund ist schon um 7 Uhr aus dem Haus gegangen, zum Marathon. Ich hatte versprochen, Fotos zu machen. Ich schleppte mich dann raus aus dem Bett zu der verabredeten Stelle und schaute mir all die gebräunten, fitten Menschen an, die da an mir vorbei liefen. Menschen wie aus einer anderen Welt: mit einem Ziel, Ehrgeiz und Disziplin.

Ich verstecke meine Lethargie hinter einer fröhlichen Maske

Ich schieße das versprochene Foto, rufe ihm fröhlich „Hurra, du schaffst das!“ hinterher und fühle mich als hätte ich ihn gerade betrogen. Ich spiele ihm etwas vor und weiß im gleichen Moment, dass ich gleich in das Ferienhaus gehen werde um die fröhliche Maske endlich abzunehmen und mich der Lethargie, hinzugeben.

Nichtstun.

Ich wollte eigentlich Bewerbungen schreiben und einen Blogartikel, in dem es um mein persönliches Anti-Krisen-Projektteam geht. Auf dem Tisch liegt ein Flyer von einer Wanderung in der Umgebung, die ich durchaus auch alleine machen könnte.

Wenn mein Partner mich nachher fragt, was ich den ganzen Tag gemacht habe, könnte ich dann sagen:

  • Oh, ich hab die Bewerbung fertig. Schau mal. oder
  • Oh, ich hab den geplanten Blogartikel geschrieben oder
  • Oh, ich war bei dem Wasserfall. Das war soo toll!

Aber da ich ein Freund der Wahrheit bin, werde ich sagen:
„Oh, ich hab ganz gemütlich in der Sonne gesessen und gelesen und geschrieben“

…und mich trotzdem wie ein Lügner fühlen.

 

Anm.: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 10. September 2016 auf meinem ehemaligen Blog “Krone-richten”.